Samstag, 25. September 2021

Nacht am Meer

 

 

 

Meeresnacht.
Liebliches Kitzeln
im innigen Innern, und innen
nichts als Blätterrauschen
im Frühlingswind.

Wellen kommen,
und doch nicht an.
Der Sand ist noch warm.
Das Liegen lässt:
eine Zartheit, die innig festhält
und zärtlich nicht loslässt.

So zart in der Hand
wie die Kugel im Äther
liegt eine Hand.
Sanft krallt sich das Kitzeln
in die offene Hand: wie die Schrift eines Herzens,
das von seinem Geliebtsein weiß.

Wellen brechen,
die Luft ist erfüllt von Sinn,
Freude, Weltall und Lust.
Die Brust holt tief Luft und will mehr.
Kein Leben ist Leben genug, und alles verzaubert.
Wer, was wirkt dieses Wunder der Ewigkeit
in der zerbrechlichen Perlenkette der flüchtigen
Augenblicke? Ein Mädchen.

Verknalldichnicht

 

 

 

 ...Liebster, kannst du mir folgen?
An den Rand des bekannten Universums,
und des unbekannten.

So weit zöge es dich aus der Sphäre des Wirklichen
ins Unendliche der Phantasie.

Und noch weiter, immer dir nach!

Doch braucht das Leben dich, und wird dir Spiel.
Wie alles, was nicht du: verspielt, verträumt,
und ich träume und verspiele mein Leben.

Gib mir nicht mehr als alles! Liebe ist genug.
Doppelt bindest du mit diesem Widerspruch:
wie liebe ich, ohne dass alles mir nichts ist?

So ist es dann nichts. Ich ziehe fort.
Und mir soll keine Welt mehr sein.

Nichicht

 

 

 

Nicht im Nichtich der Nacht
noch im nichtenden Nebel
die Mikromimik des Nicht:

Inlicht der Schattenlaterne dunkelt
das Umdunkelte um sich um.

Schamdampf des Scheins und Dämpfe
des Scheiterns der Scheinigkeit: schieres
Frieren.

Im Zug

 

 

 

Ein Bahnhof war das Leben Jahr für Jahr,
und keineswegs Hannover Hauptbahnhof:
mehr in die Richtung Stendal, Rathenow.

Ich bin im Zug. Nein, nicht im ICE,
doch laut dem Fahrplan auch mit diesem komm
letztendlich an mein Ziel. Bewegung tut

so gut. Ich lasse alles hinter mir.
Nichts Schlechtes mitgenommen: alles, was
mir schlechtgetan hat, war nur Wartefrust.

Alles zieht weg. Das Alte zieht vorbei.
Mein Platz ist gut: gemütlich, ruhig, hell.
Das Ticket ist anscheinend gültig noch.

Das Bahnhofsleben lebt ich konsequent:
ich harrte aus, doch niemals Wurzeln schlug.
Ich lasse niemanden und nichts zurück.

Die Zukunft ist nicht weiter müde Zeit.
Ich wollte einfach weg, kam so nicht weit.
Kein Zug wird fahren ohne ein Wohin.

Doch fahren Züge, auch wenn du nicht weißt,
was dich am Ziel erwartet. Heidelberg
kann Reiseziel sein auch zum ersten Mal.

 

Donnerstag, 9. September 2021

RAF

 

 

Warum ich bamb? Ich bin ein Flieger-Ass,
Nicht kämpfe ich am Boden, fresse Gras!
Ob ich was sah? War dunkel in der Nacht.
Was war das Ziel? Lag nicht in meiner Macht.

Von schöner Landschaft Deutschlands sah ich viel,
mir Dresden insbesondere gefiel.
Über Köln war ich, über Pforzheim auch,
denk manchmal nach, wenn ich Zigarre rauch,

was war das für ein Tod? Auf dem Asphalt,
in einer Nacht, so windig und so kalt,
fünfhundert Grad, die Straße schmilzt, versinkt,
fängt Feuer, seine Frau von Weitem winkt,

sieht zu, wie dieser Sumpf ihn dann verschlingt,
die Hölle schließlich diesen Mann umringt,
der Neunzehnzweiundvierzig jeden Tag
Zehntausend gar ermordet haben mag

mit seinen Kumpels, wo heut Polen ist.
Nun, wenn die Welt in Bälde seins vergisst,
dann ist auch mein Verbrechen wohl nicht groß.
Ja, bei der Royal Air Force ich genoss

die Dienstzeit sehr. Ich bamb und bamb und bamb,
Brandbombe, da! Zündbombe, hier! Ich bamb,
und bamb und bamb und bamb und bamb und bamb,
bam bam bam bam bam bam bam bam bam bammmm

Sophie

 

 

 

Öfter als du deine Tampons
habe ich meine Schulen gewechselt.
Und nie habe ich neben dir gesessen.

Es sollte ein Menschenrecht sein,
irgendwann in seiner Schulzeit
neben einer Sophie zu sitzen.

Menschenrechte sind toll. Und doch
entscheidet das Schicksal klüger:
als ich allein im gemütlichen Restaurant saß,
allein und mit Buch, wie in der Schulzeit immer,

saß auf einmal die niedlichste, unschuldigste Sophie
kindlich verspielt neben mir auf der Bank.
Ich aß fürstlich und las mein Buch,
und sie mit ihrer Heile-Welt-Familie war derart Sophie,
wie eine Teenager-Sophie in der Schulzeit niemals hätte sein können.

 

Plagiate

 

 

 

Kopien zeigst du, Stadt, ohne Original:
direkt aus der Tram Plagiate des Kinderlachens,
das Mädchen lächelt abgeschrieben, wandert
am Cafétisch vorbei in den Bahnhof, aus welchem strömen:
aufgesetzte Guckwiesexyichbins,
nachgemachte lange Haare,
künstlich veredelte schöne Hände.

Dicker als dick aufgetragen,
alle Schlüsselreize missbraucht,
bis das Empfinden taubt.

Menschen copypastest du, Stadt,
Einwegmenschen ohne Pfand.
Ungeschminkte, ungephotoshoppt Gehende,
selbst Kinder, sehen verwildert aus.
Die aber leben, um Selfies zu machen,
lassen schnell vergessen, wie ein Mensch
in Echt aussieht.

Lieb und Trieb

 

 

 

Gemächlich mädchelt das gemütliche Gemüt:
zwei Liebende auf einem hohen Baum
sehn zärtlich runter, wo die Kataphrakte
begehen Mahd, Streitkolben dringen tief
in Schädel ein, als wären Helme Pappe.

Der Junge kost das Liebchen, und es küsst
die sanften Malerblicke, die begeistert
die Äxte segnen: Köpfe stürzen jäh
von den gefangenen Besiegtenkörpern.
Die Augen schließt die kleine weiße Hand.

Die frisch Verliebten ziehen sich zurück;
das Leben zieht von den Gefallnen fort.
Der Feldherr lächelt, steigt vom Pferde ab,
und jeder Gnadenstich den Frieden mehrt.
Krieg oder Liebe: Sonnenuntergang.

Der Impffool

 

 

Der Nachbar schlägt die Kinder, ungeimpft.
Dann lass ich mich, aber natürlich, impfen.
Kollege wählt die AfD, geimpft.
Ich lass mich, selbstverständlich, niemals impfen!

Die Frau hat mich verlassen, ungeimpft.
Impfgegnerin! So dumm! Ich lass mich impfen.
Ihr neuer Mann: genesen und geimpft.
Haha, ich nicht! Er soll unfruchtbar werden!

Chef ungeimpft, Verschwörungstheorien
erzählt das Arschloch, und ich lass mich impfen!
Die Schwiegermutter, Hexe, ist geimpft.
Viel Spaß euch allen nächstes Jahr beim Sterben!

Der reiche Sack da mit dem Impfausweis:
Privilegierte lassen sich als erste impfen!
Der ungeimpfte Obdachlose fragt um Geld.
Ich bin aber kein Penner, lass mich impfen.