Ein Sonettenkranz
V1. Hellgrau
Der Haut der Jungfern kalter Hauch,
Du rufst, du rufst hinauf!
Berg, Scharen kommen, Horden toben,
Aus blutger Erde schwarzer Rauch.
Die Ersten, weit hervorgeschoben,
Von der Lawine umgelegt.
Uns Augenweide war ihr Todeslauf.
Das Lager untenwärts verlegt,
Sucht Übergänge, krumme Wege!
Ihr junge Eber, Weltgehege
Euch nicht genug, das Herz will hoch.
Ein neuer Anlauf - schlaft ihr noch?
Wenn keiner sieht, glückt euch der Sprint, -
Doch wird der Weg zum Labyrinth.
V2. Rostblau
Eisalabasterästeschwert.
Ein Blick genügt, und ihr gefügt,
Gefangen. Doch Verzweiflung lügt:
Mit Augenbinden rennen hoch
Die nächsten Jünglinge, und doch
Scheint mir, ihr Wiedertod umsonst.
Kein Schritt hinaus aus unserm Loch -
Der Berg nur kost den Wind, der tost,
Wir essen Schuppen, trinken Rost.
Lauft, Horden, Herden, lauft hinauf!
Mein Freund, mein Feind, mein Schatten, lauft!
Wir sind zuviele vor dem Tod,
So werdet rar, so brecht euch dar
Den Alabasterjungfern gar.
V3. Violett
Kniekehlenlanges schwarzes Haar,
Das Brudermörderschwert ist dein,
Und meine Ehr, und meine Pein.
Ich bringe mich als Täter dar.
Hinfort, o Scham, hinweg, Vernunft!
Ich werde hängen, werde hoch,
In lichter Höhe, welche noch
Ist allen zugetane Kunft.
Ich werde, Mächte, Erster sein!
Mein Blut ist Zeuge: Haar ist mein!
Mit tiefer Wunde in den Schnee
Ich falle tief. Mich wärmt der See.
Ihr aber lauft, lauft hoch, lauft weit,
Und seid zum Sturze stets bereit!
V4. Tiefblau
Scheint sonnendunkel dieses gar,
Was mich im Wassertraume quält,
Woran mein Sehnen kalt zerschellt.
Ein roter Abend leckt den Berg.
Welch wundervolles Feuerwerk!
Der Waffen höhere Gewalt
Nimmt an die klarere Gestalt -
Eisfrei der Weg, muss Bruder weg.
Ich, jeder schreit, ich ganz allein!
Mein Körper treibt, vom Wasser rein,
An Ufersand. Ein Wolf mich birgt.
Mein hohes Ziel ist nicht verwirkt!
Selbst schwere Schuld hat, der verwelkt,
Und nicht erneut schockiert die Welt.
V5. Nihilingrün
Ein kühner Zug zum Gipfel fährt.
Maschinen, Karren, Seile, - Gang
Unfassbar sicher, ruhig, lang,
Bis in die Nacht die Ruhe währt.
Dann fallen Schüsse, Pferde tot,
Im Eise Risse blutig rot.
Kartuschenfeuer, Dynamit,
Die Höhe ihnen war Zenit.
Die Leichen trug das Wasser fort;
Langbogenschützen machten tot,
Die noch zu leben sich erhofft.
Wer war denn Schuld am Feuermord?
Er lacht, sein langer schwarzer Bart
Blut sog, dass er nun geht gebückt.
V6. Dunkeleisschwarz
Eis wird sie schneiden, wird sie friern,
Und er, der Bösewicht, entrückt,
Betrachtet fließend Jünglingsblut
Vom Berge runter. Nächte Brut:
Gepanzert, fliegend, sehr erbost,
Entschlossen wild, könnten getrost
Drei Heere schlagen simultan,
Doch ist mit Technik nichts getan:
Ein frostig Wind, nah an der Null,
Der absoluten, peitscht sie kühl
Nach Haus zurück, und Technik lahm.
Der schwarze Bart mit Lächelmund
Grinst breit - sein Bauch noch gesund;
Sie waren wild, sie wurden zahm.
V7. Lieblichlila
Sie werden schreien, bluten, lieben.
Die ihren Müttern noch geblieben,
Und ihre Väter nicht enttäuscht,
Ehrwürdig, fromm, unschuldig, keusch,
Den Brüdern winken hinterher,
Und hoffen still auf ihren Tod.
Sie werden dann die Helden sein,
Seht, Vater, Mutter, - wir sind wer!
Noch sind sie quälzart, niedlich klein,
In Jungen, Mädchen aufgeteilt,
Doch werden bald schon aufgegeilt,
Und schauen nur noch auf den Berg.
Die Jungfern, jeder, grob und fein,
Will schenken seinem Hosenscherg.
V8. Blaugrau
Die rote Nacht wird weiß regiern.
Schnee fällt auf Siedlungen, erschlägt
Fausthagel jeden, der bewegt,
Und Unbewegte holt der Klirr.
Die freie Sicht, die reine Bahn,
Mir Weh, noch nicht bewegen kann
Den heißen Leib nach voller Kür
Des strengen Willens. Mich verführ
Bloß nicht die Rücksicht zum Zurück.
Nein, vorn ist Leben, vorn ist Glück!
Ich schleppe mich so wie ich kann.
Mir bleiben Stunden, Hagel trifft,
Und bricht mir Knochen, - gebt mir Gift!
Gib, Rauschgift, mich hin dem Wahn.
V9. Wintergrün
Sehnsuchtversucht getrieben,
Ziehn neue Jünglinge vorbei.
Des Hagels eisig kaltes Blei
Hat sieben Heere aufgerieben.
Drahtschlanke Körper warten dort,
Für sie ist gut und richtig Mord,
Betrug, Verrat, und Grausamkeit
Für die, dern Schicksal Langsamkeit.
Eisweiße Hände werfen Haar
Zurück, die großen Augen gar
Genießen das Gemetzel süß.
Ein wahrhaft lieblicher Genuß -
Der zarten Jungfern keine flieht,
Weil aus Lieb Gewalt geschieht.
V10. Amphetaminbeige
Zerschellen Jünglinge, o Stein!
Bleib auf dem andern, lass noch sein
Sie für Sekunden, lass sie hoch -
Du wirst sie töten können noch.
Doch rollt Lawine, ihr kein Halt,
Reißt Bäume um mit Gaffern drauf,
Und jene, die fast schon hinauf
Geklettert waren, sterben bald.
Weint, Mütter, rhythmisch, Väter, heult,
Euch windelweiche Kissen holt,
Und nehmt die Jüngsten in den Arm.
Behütet diese sanft und warm,
Bis fünfzehn-siebzehn Jahr vorbei,
Denn sie sind früh genug dabei.
V11. Hirndunkelweiß
Sie werden siebzehn, werden sein
Wie ihre Brüder: gierig, stark,
Entschlossen, mutig, autark;
Wie ihre Schwestern: eitel, schön,
Statt Mannesschweiß den Jungfernwein
Zu trinken dürsten. Eiseshöhn
Verzärteln luftigst kühles Weiß,
Umgarnen duftigst Herzensheiß, -
So spricht man unten von den Fern,
Als Feen stellt sie vor man gern,
Als Engel, grausam und rein,
Als Jungkindmädchen, wehrlos klein.
In Frage steht die Existenz?
Sofort Kopfschuss und Transzendentz.
V12. Feuerseeblau
In Welten weit von dieser,
Wo Reinheit nicht erlischt,
Wenn Haut an Haut sich schlängelt,
Erstehen eingeengelt
Wir Sünder auf zu Jungfern auf dem Berg?
Ist Kreislauf unser Leben? Ein ewiger Betrug?
Denkkunst ist nicht gegeben an jeden, doch der Lug
Schließt jeden in die Arme, und zeigt ihm Berge hoch.
Was nach dem Tode wartet?
Egal mir, tot ist tot.
Im Schnee mein Schreiten rot
Gezeichnet. Meine Karten
Sind Asse. Ich bin König,
Doch schäme mich nicht wenig.
V13. Rubinrot
Hier blüht nur Krieg, hier reift nur Tod.
Wozu ist uns die Welt gegeben?
Sie ist zum Sterben da, zum Leben
Der Himmel leuchtet farbenfroh.
Wir wollen Unschuld essen roh,
Und sind verflucht zu Höllenqualen.
Wer wird sich auf dem Berge aalen
In Alabasterdraht gewickelt?
Ein junger Ganymed die Hand
Streckt aus, doch wird umgerannt.
Greift diese Maid die Jungfer sich?
Nein, hart umzwungen lässt sie mich,
Der Mörder ihr, an sich vorbei.
Ich atme durch - der Weg ist frei!
V14. Todesweiß
Die Gletscher rauchen feuerrot.
Ich bin so glücklich, durch und durch,
Doch nun gewinnt mich tiefe Furcht -
Als einziger entkam dem Tod,
Und stehe nun auf leerem Berg.
Ich seh und starr: ein weites Nichts,
Fata Bergana. Quell des Lichts
War meiner Seele Gier und Geil.
Doch nicht allein? Mich trifft ein Pfeil -
Ein Bogenschütze zielt genau,
Ich schließ mich an dem Leichenstau
Und rolle langsam runter mit.
Nun sprengt den Berg das Dynamit,
Der Haut der Jungfern kalter Hauch.
Meistersonett
Der Haut der Jungfern kalter Hauch,
Eisalabasterästeschwert.
Kniekehlenlanges schwarzes Haar,
Scheint sonnendunkel dieses gar,
Ein kühner Zug zum Gipfel fährt.
Eis wird sie schneiden, wird sie friern,
Sie werden schreien, bluten, lieben.
Die rote Nacht wird weiß regiern.
Sehnsuchtversucht getrieben,
Zerschellen Jünglinge, o Stein!
Sie werden siebzehn, werden sein
In Welten weit von dieser,
Hier blüht nur Krieg, hier reift nur Tod.
Die Gletscher rauchen feuerrot.
2011