Montag, 27. März 2017

Großchance




Erstarrt fest zur Säule blickkost er die Netze,
die Augenränder fixieren die Fahne.
Sein Odem, er schweigt. Er ist ganz in dem Banne
des Augenblicks, bis der Pfiff ihn zerfetze.

Vierhundert Gramm Pressluft und Leder im Fluge
dürfen die Glatze mitnichten verfehlen;
zehn Millisekunden dem Schlussmann zu stehlen -
erbittet vom Schicksal, dass jener nicht luge.

Großartige Wucht, alle Recken beisammen,
er springt hoch, fällt um, weggestoßen, nach Vorn;
vom Scheitern bläst Hohlaluminiumhorn,
der Kastenmann steht sein Gemälde im Rahmen.


 2011

Montag, 20. März 2017

Steinzeit






Es war einmal,
Vielleicht auch nicht,
Es war ein Mann,
Vielleicht auch nicht.

Er rauchte nicht,
Vielleicht aber doch.
Er taugte nichts,
Vielleicht aber doch.


Er wohnte im Gebüsch.
Das Gebüsch war schön grün.
Er konnte nachts nicht schlafen.
Er bemühte sich sich zu bemühn.

Er sammelte Steine auf
Und lagerte im Gebüsch.
Im Winter baute er ein Haus
Und erfror nicht.


Er sprach mit Steinen seinen,
Denn sonst war er allein.
Er dankte seinen Steinen
Für das noch-am-Leben-Sein.

Einmal fand er ein Buch.
Es erzählte von der großen Dürre:
Alle Seelen trockneten aus
Und wurden zu Steinen.


Dort werfen Kinder Steine ins Wasser -
Mit Recht, denn sie sind leblos.


 2000

Sonntag, 19. März 2017

Das Verfahren





was gesagt werden muss
das missbrauchte vernutzte wort
das tote ausgehöhlte wort
das hinkende vehikel der meinung

was gesucht werden muss
das harte gleichgültige wort
das sagende schlagende wort
das rodende mordende wort
der begriff das zeitschiff der wahrheit


 2008

Samstag, 18. März 2017

Radfrühlingsfahrt

Burger Landstraße - Celler Weg - Burgstraße




mitte april oder anfang mai
wenn die sonne auf leisen sohlen
den tag verlässt

zu spüren
füsse noch pedale
nur die bewegung
zu hören nur
das fahren der räder
auf altem asphalt
noch das zuklappen
des kofferraums
beim vorbeifahren
an einem hof

verirrtes regentröpfchen
fällt auf den handrücken

die sonne schliesst
die kinderzimmertür
des tages fester

 2010

Freitag, 17. März 2017

Brief eines KZ-Insassen an Hitler, 1942





mein lieber hitler, du bist schön und arisch,
du hast so viel gedichtet und gedacht,
und ich, weißrusse, bin so schön barbarisch -
man hat im zirkus über mich gelacht.

kasachen werden dir als pferde dienen:
du wirst sie reiten, hattest du gesagt;
vergiss nur nicht, von wem abstammen finnen,
sie - deine freunde? hätt ich nicht gedacht.

ich sitze nun im knast, wie du gesessen,
bin abgemagert wie ein muselmann;
du tötest juden - gib sie uns zu essen,
du gütiger, erbarmungsvoller mann.

die wehrmacht siegt - die arier gewinnen,
und wir verlieren - dummes wildes pack;
ihr habt die hirne, bessere maschinen,
und unser volk lebt auf den bäumen nackt.

ich wünsche dir noch tausend jahre leben,
und du gewähre mir ein wenig brot;
ich weiß - den endsieg, den wirst du erleben,
ich gratulier dir jetzt - bin dann schon tot.

 2011


Hommage an Vladimir Semёnovič Vysockij, singbar wie sein Lied "Genosse Stalin"

Donnerstag, 16. März 2017

Der Verknall




Was ist der lauteste Knall? Der
des Schweigens Mauer durchbricht?
des Schalls? Derjenige, verhallt der
in seichten Geistes tiefster Schicht?

Der erste Aller lautlos knallte,
doch ewig spürbar ist - wir sind!
Der Knall - ein explosives Kind -

er will nur spielen, tänzelnd, hörbar,
tief innen drin, so unzerstörbar.
Vor vielen Jahren er erschallte

zum letzten Male auch in mir.
Ich hab dich, Knall! Nun wirk und walte.


 2011

Mittwoch, 15. März 2017

setzen null




gesetzt, gesetz:
das gelten gilt
relativ absolut

der zufall ist
vakant geworden

kritik der kritik
ist nicht kritisierbar

sie schütteln beifall
doch du nickst:
veränderung ist anders



 2009

Dienstag, 14. März 2017

Diesheit solcht




Es ist nicht so, dass Solchheit diest,
dass Liebe auf den Wiesen wiest,
dass Leben auf dem Eben west,
dass Leiden sich vermeiden lässt.

Es ist so, dass wer Liebe rief
in seinem Herzen winterschlief,
und wacht erst auf, wenn Mitherz tot,
sich Lippen lächelnd süß und rot.


 2011

Donnerstag, 9. März 2017

Verfängnis




kein fluch am ton vorbei
den schatten sondert
kein schimmer klingelnd
seine hoffnung weckt

die lebensstille tötet
morgen morden
der tag dem abend
totentücher webt


 2010

Mittwoch, 8. März 2017

Weltfrauentag




Den Mädchen sei gesagt, dass jeder Tag
ein Tag der Mädchen ist. Nichts hätte einen Sinn,
Menschheitsgeschiche wäre für den Arsch,
wenn es kein Mädchen gäbe, - sei es nur
in eines Dichters unbegrenzter Phantasie.

Den Frauen sei gesagt, dass jeder Mann
ist gleichberechtigt, dass die gleiche Pflicht
aus gleichem Recht auch Frauen entsteht.

Den Weibchen sei gesagt, dass nicht der Schwanz,
sondern der Geist das große All regiert.



 3.2013

Sonntag, 5. März 2017

Der Kaffeeautomat





Wer grinst so debilesk hier? Er mitnichten -
ich werf die Münze rein, und es sich hat.
Muss niemanden penibel unterrichten,
was es mit meinem Wunsche auf sich hat.

Acht Knöpfe gibt es und acht Sorten Kaffee,
wer Sprache nicht versteht, der guck dem Bildchen zu.
So leise ist es, keiner grinselt affig,
ich nebenbei zum Fahrplan schauen tu.

Der Zug kommt, heute noch kein Wort gewechselt,
zeig ich dem Schaffner wortlos mein Billet.
Ich hoffe nur, daneben keiner setzt sich,
und stört die wohlgewollte Ruhe jäh.

 2012